Achtung, Giftschlange!

Stärker noch als Riesenschlangen polarisiert der Gedanke an Giftschlangen die Menschen. Während die meisten Menschen sie als furchteinflößend empfinden, sind nicht wenige von der Eleganz der Tiere, der Farbgebung und der potenziellen Gefahr fasziniert. So werden auch Giftschlangen als Heimtiere gehalten. Helge Behncke informiert, was es zu beachten gilt.

Abb.1 | Als Typische Viper zählt die Nashornviper mit bis zu 4 cm langen Zähnen zu den Giftschlangen mit den größten Giftzähnen. © Helge Behncke

Die Halter dieser Tiergruppe bilden keine einheitliche Gruppe. Entsprechend der weitverbreiteten Vorurteile gibt es Giftschlangenhalter, die sich mit ihren Tieren (und meist auch mit dem lockeren Umgang mit den Tieren) eine gesellschaftliche Anerkennung erhoffen. Aber es gibt auch die gewissenhaften Halter, die mit einem wissenschaftlichen Anspruch die Haltung und den sicheren Umgang mit den Tieren optimieren.

Welche Giftschlangen gibt es?

Im Laufe der Evolution haben sich die Giftdrüsen bei den Schlangen aus Speicheldrüsen entwickelt. Dieser evolutionäre Schritt hat sich bei unterschiedlichen Schlangengruppen entwickelt. Von den 4.000 Schlangenarten gelten etwa 800 Arten als giftig, von denen wiederum etwa 100 Arten als gefährlich eingestuft werden. 

Vereinfacht lassen sich Giftschlangen in 3 Gruppen einteilen:

  • Vipern (Abb. 1)
  • Giftnattern (Abb. 2)
  • Trugnattern

Vipern
Vipern verfügen über einen verkleinerten Oberkiefer, der praktisch nur den zur Hohlnadel ausgebildeten Giftzahn trägt. Dieser stark vergrößerte Zahn wird beim Öffnen des Mauls aufgerichtet und injiziert das Gift tief in das Gewebe des Opfers. 

Die ca. 380 Arten spalten sich in 2 Gruppen auf. Zu den echten Vipern gehören unter anderem die Puffottern, aber auch die echten Ottern, zu denen die beiden in Deutschland beheimateten Giftschlangen die Kreuzotter und die extrem seltene Aspisviper (Abb. 3) zählen. Grubenottern verfügen über das namensgebende Grubenorgan, mit dem Wärme „gesehen“ werden kann. Die bekanntesten Grubenottern sind die Klapperschlangen.

Giftnattern
Giftnattern haben ebenfalls vergrößerte Zähne im vorderen Oberkiefer. Diese richten sich beim Biss aber nicht auf. Sie weisen tiefe Furchen auf, durch die das Gift in die Wunde des Opfers fließt. Die etwa 390 Arten lassen sich in 2 Gruppen aufteilen. Zu den eigentlichen Giftnattern gehören Kobras, Mambas und Korallenschlangen. Die 2. Gruppe bilden die Seeschlangen zusammen mit den australischen Giftnattern.

Trugnattern 
Eine sehr uneinheitliche Gruppe bilden die Trugnattern. Bei ihnen sind die Zähne des hinteren Oberkiefers mit einer Giftrinne versehen. Durch die weit hinten liegenden Giftzähne ist eine Vergiftung des Menschen bei den meisten Arten nicht möglich. Lediglich einzelne Arten aus dieser Gruppe, z.B. die afrikanische Boomslang, gelten als potenziell gefährlich.

Zwei verschiedene Toxintypen 

Die Giftdrüsen, die sich beidseits des Kopfes im Bereich der Kiefermuskulatur befinden, haben sich im Laufe der Evolution aus Speicheldrüsen entwickelt. Beim Toxin handelt es sich um im Laufe der Entwicklungsgeschichte umgewandelte „Verdauungsenzyme“ (Eiweißmoleküle). 

Entsprechend ihrer Wirkung kann man grob zwischen 2 Toxintypen unterscheiden: 

  • Hämotoxine schädigen primär das Gewebe und die Blutzellen. Es führt zu Gewebsnekrosen und Gerinnungsstörungen (und so nicht selten zu Nierenschäden). Dieser Gifttyp tritt vornehmlich bei Vipern auf. 
  • Neurotoxine greifen das Nervensystem an. Sie wirken lähmend und führen zum Atemstillstand, sie treten vor allem bei Giftnattern auf.

Gibt es ein passendes Gegengift?

Da Schlangengifte komplexe Eiweißmoleküle sind, lösen auch sie eine Immunantwort aus und führen zur Antikörperproduktion. Diese Eigenschaft nutzt man in der Gegengiftproduktion aus. Dabei werden meist Pferde oder Schafe mit niedrigen Dosen der Schlangengifte behandelt. Das (Blut-)Serum wirkt nach der Gewinnung und Aufbereitung als Gegengift (Antivenin bzw. Serum). Diese aufwendige Herstellung der Gegengifte macht die Seren relativ teuer. Zusätzlich haben sie nur eine begrenzte Haltbarkeit. 

Die Gifte der einzelnen Arten unterscheiden sich sehr. Da nach einem Bissunfall oft nicht klar ist, welche Art den Unfall ausgelöst hat, werden die Gegengifte nicht nur gegen Bisse einzelner Schlangenarten (= monovalent) hergestellt, z.B. gegen Bisse von Königskobras oder Taipane. Man produziert auch Gegengifte gegen verschiedene Schlangenarten (= polyvalent), z.B. europäische Vipern, „nordamerikanische Grubenottern“, indische und südafrikanische Schlangen. 

Exkurs: Giftig und richtig giftig

Von den weltweit 15 giftigsten Schlangen kommen 13 aus Australien, von denen der Inlandtaipan als die giftigste Schlange der Welt gilt. Die Giftmenge einer Schlange dieser Art reicht (theoretisch) aus, um 250 Menschen zu töten. Dennoch treten von den jährlich mehr als 80.000 Todesfällen durch Schlangenbisse weniger als 5 in Australien auf. Hingegen sterben vor allem durch die unzureichende medizinische Versorgung und die zu geringe Menge an Antiveninen in Indien jährlich mehr als 50.000 Menschen an den Folgen eines Giftschlangenbisses. Diese erschreckend hohe Zahl spiegelt dennoch nur einen Teil der Problematik wider. Die Anzahl der Menschen mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden liegt nochmal um den Faktor 5 höher und wird von der WHO mit ca. 450.000 Menschen jährlich angegeben. 

Auch die Giftschlangenhaltung steht dem Problem der fehlenden Antivenine gegenüber. In Abhängigkeit der gesetzlichen Rahmenbedingungen (bundeslandabhängig) können in den Terrarien je nach Interesse des Halters nahezu alle Giftschlangenarten gehalten werden. Da die Gegengifte teuer sind und nur eine begrenzte Haltbarkeit haben, halten weder der Staat noch medizinische Einrichtungen entsprechende Gegengifte vor. Aus diesem Grund haben Giftschlangenhalter einen überregionalen Verein gegründet, der in unterschiedlichen Standorten in Deutschland wichtige Antiseren vorrätig hält und Hilfestellung bei Bissunfällen geben kann (Adresse im Kasten). 

Serum-Depot-Berlin ev.
Notrufnummer: +49 30 5444 5989
Geschäftsstelle: Gaupel 26, 48653 Coesfeld; Tel.: +49 2331 954414

Könnt Ihr eine Behandlung in Eurer Praxis anbieten?

Ist eine Giftschlange krank, wird der Besitzer sich an einen Tierarzt wenden. Ohne die Risiken zu bedenken, darf in dieser Situation die Behandlung weder von der TFA noch vom Tierarzt aus reiner Neugierde auf einen spannenden Fall angeboten werden. 

Achtung: Für die Behandlung von Giftschlangen gilt eine eindringliche Warnung! 

Giftbisse sind je nach Art nicht nur lebensgefährlich, sie können auch zu schwerwiegenden bleibenden organischen Schäden (Nierenschäden, Finger(-teil)-amputation etc.) führen. Auch Bisse von nur moderat giftigen Schlangen können lange Krankheitsphasen und berufliche Ausfallzeiten nach sich ziehen. 

Eine weitere Problematik hat einen rechtlichen Hintergrund. Sollte es zu einem Bissunfall kommen, haftet zwar grundsätzlich der Halter für Schäden. Kommt es aber im Rahmen der tierärztlichen Behandlung, z.B. während der Narkose oder der stationären Aufnahme zu einem Unfall, kann auch der Tierarzt für die Schäden haftbar gemacht werden. Gerade im Umgang mit gefährlichen Tieren müssen daher in einer Praxis klare Absprachen eingehalten werden. So lehnen aus diesen Gründen selbst viele reptilienkundige Tierärzte die Behandlung von Giftschlangen kategorisch ab und verweisen auf kompetente Kollegen.

Tipp: Informiert Euch daher bereits am Telefon, ob es sich um eine Giftschlange handelt und empfehlt einen fachkompetenten Kollegen.

Man kann sie vorher nicht „melken“

Wichtigste Maxime im Handling und in der Behandlung ist: Nicht beißen lassen. Kranke Tiere mögen langsamer sein als gesunde Schlangen, sind es aber nicht immer. Es gibt keine Möglichkeit, die Tiere im Vorfeld ungiftiger zu machen (Giftzähne entfernen/Gift „melken“). Man muss dem Tier mit dem nötigen Respekt und der entsprechenden Ruhe gegenübertreten. 

Achtung: Angst, aber auch Übermut durch Überschätzen der eigenen Fähigkeiten führen leicht zu Fehlern in der Behandlung von Gifttieren. 

So wenig Personal wie nötig

Im Rahmen der Behandlung müssen nicht nur der Tierarzt, sondern auch die benötigten Helfer mit dem Umgang der Tiere vertraut und absolut verlässlich sein. Gleichzeitig müssen die beteiligten Personen auf ein absolutes Minimum reduziert sein.

Verschiedene Hilfsmittel zum Schutz erleichtern die Arbeit (Abb. 4): 

  • Schlangenhaken: Der Schlangenhakenwird primär eingesetzt, um den Kopf beim Handling auf Distanz zu halten.
  • Schlangenhandschuhe“: Wirkungsvoll vor Bissen kleinerer Vipern und Giftnattern schützen lange (Leder-) bzw. Schweißerhandschuhe. Man sollte aber berücksichtigen, dass durch die unterschiedliche Kieferanatomie Vipern deutlich längere Giftzähne haben als Giftnattern. So hat bereits eine 90 cm Sandotter ähnlich lange Giftzähne wie die größte Giftschlange, die Königskobra mit über 4,5 m Länge und kann unter unglücklichen Umständen durch dicke Handschuhe beißen. Gleichzeitig verringert der Handschuh das Fingerspitzengefühl bei der Untersuchung und ist nur sehr eingeschränkt bei schnellen und ungestümen Schlangen zu gebrauchen.
  • Acrylglasröhren: Für die Untersuchung der Schlangen haben sich Acrylglasröhren (Abb. 5) in unterschiedlichen Durchmessern bewährt. Man lässt die Schlange mit dem Kopf voran in Röhre kriechen, fixiert sie am Körper bzw. am Schwanz und kann eine gefahrlose äußere Beurteilung oder kleinere Manipulationen vornehmen. Es ist jedoch zu beachten, dass der Durchmesser so klein gewählt ist, dass die Schlange nicht in der Röhre wenden kann.

Achtung: Natürlich ersetzen diese Hilfsmittel nicht die Erfahrung im Umgang mit diesen faszinierenden Tieren. Sie können im Zweifelsfall auch ein falsches Gefühl der Sicherheit vermitteln.

Abb.4 | Arbeitsgeräte für den Umgang mit Giftschlangen: Schlangenhaken, Handschuh und unterschiedliche Acrylglasröhren. © Helge Behncke
Abb.5 | Gefahrlose Beurteilung einer Hautwunde in der Acrylglasröhre. © Helge Behncke

Kurz und knapp

Auch wenn Giftschlangen faszinierende Tiere sind, stellt die medizinische Behandlung ein großes Risiko dar. Die gesundheitlichen und rechtlichen Folgen eines Giftbisses, der sich durch Unsicherheiten und Fehler im Handling ergibt, sollten nicht aus Neugierde oder Übermut riskiert werden. Im Zweifelsfall sollte die Behandlung versierten Kollegen überlassen werden.