Schildkrötenernährung
Zu den ungewöhnlichsten Patienten in der Kleintierpraxis gehören Schildkröten. Wenn man sich als Nichtschildkrötenhalter warum ausgerechnet Tiere die man nicht knuddeln kann, so häufig gehalten werden. Dies werden die jedoch meisten Schildkrötenhalter ebenso vehement wie die Unterstellung, dass man zu ihnen keine nennenswerte Beziehung aufbauen kann, bestreiten. Dabei muss uns auch bewusst sein, dass Schildkröten die ältesten Tiere in der Tierarztpraxis überhaut sind. Sehr häufig handelt es sich um Tiere die bereits über Jahrzehnte bei ihren Besitzern leben und nicht selten auch einen Generationenwechsel der Besitzer miterlebt haben.
Dennoch ist es immer wieder erstaunlich welche grundlegenden Fehler in der Haltung gemacht werden können. Dabei ist eine fehlerhafte Ernährung der mit Abstand häufigste Haltungsfehler.
Schildkröten – Ernährungsphysiologisch keine einheitliche Tiergruppe
Der größte Fütterungsfehler entsteht, wenn man versucht die etwa 350 Schildkrötenarten zu vereinheitlichen. So wurden Ende der 80 und in den 90- iger Jahren „Schildkötenfutter“ verkauft, die die Besonderheiten sehr vieler Arten insbesondere der Landschildkröten nicht berücksichtigten. Versucht man Schildkröten unter dem Aspekt der Lebensweise und damit auch der Ernährungsphysiologie einzuteilen wird man auf 3 (5) verschiedene Gruppen stoßen.
- Meeresschildkröten
- Landschildkröten mit den 3. tropischen Landschildkröten
- Wasserschildkröten mit den 5. Sumpfschildkröten
In der tierärztlichen Praxis spielt die kleinste Schildkrötengruppe, die der Meeresschildkröten natürlich keine Rolle. Dennoch ist es erwähnenswert, dass sich die Tiere primär von Kopffüsslern, Quallen gelegentlich von Fischlaich und im Erwachsenalter überwiegend vegetarisch ernähren. Fische selbst nehmen – anders als vermutet – bei allen 8 Arten nur eine sehr untergeordnete Stellung in der Ernährung ein.
Die knapp 60 bekannten Landschildkröten sind primär Vegetarier, die aber keinesfalls einen einheitlichen Ernährungsbedarf haben. Grob kann man sie in 2 Gruppen einteilen. Zunächst die subtropisch, in (halb)trockenen ((semi)ariden) Gebieten vorkommenden Landschildkröten, zu denen auch die am häufigsten gehaltenen mediterranen Landschildkröten gehören, und ferner die tropischen Landschildkröten.
Die (Süss-)Wasserschildkröten und die Sumpfschildkröten sind überwiegend omnivor also allesfressend. Jedoch kommen in dieser Gruppe neben reinen Vegetarier auch reine karnivore Arten vor.
Herkunft und Anpassung der mediterranen Landschildkröten an ihren Lebensraum
Am häufigsten werden die mediterranen Landschildkröten der Gattung Testudo in der Tierarztpraxis vorgestellt. Zu ihnen zählen neben der Griechischen- die Maurische-, die Breitrand- sowie im erweiterten Gattungsbereich die russische bzw. Steppenschildkröte und ferner die selten gehaltene Ägyptische Landschildkröte.
Um besser zu verstehen, welche Ansprüche die Tiere an die Ernährung stellen, muss man sich die natürlichen Gegebenheiten vor Augen führen. Die Tiere entstammen dem Mittelmeer-(mediterranem) und dem Steppen- (semiariden) Klima. Beiden Klimazonen ist gemeinsam, dass sie einen heißen trocken Sommer und einen mehr (=> mediterranes Klima) und oder weniger feuchten Winter (=> semiarides Klima) aufweisen. Da die Tiere wechselwarm (poikilotherm) sind, erstreckt sich ihre Aktivitätsphase von (unserem) Vorfrühling bis in den Spätherbst. Ab dem Spätfrühling ist das Klima des natürlichen Lebensraums von einer zunehmenden Trockenheit geprägt. Erst ab dem Frühherbst kommt es zu nennenswerten Niederschlägen.
Durch diese Gegebenheiten verändert sich über das Jahr auch der Nährstoffgehalt im Futter der Landschildkröten massiv. Frisches nährstoffhaltiges Grün(futter) gibt es für die Tiere nur in der Zeit von unsrem Frühherbst bis in den späten Frühling, wobei der Winter in der Winterruhe verbracht wird. Die restliche Aktivitätsperiode der Landschildkröten findet in der zunehmend „heißen“ Trockenzeit statt.
Während dieser Periode ist die pflanzliche Nahrung durch 3 Faktoren gekennzeichnet:
- ballaststoff- (=rohfaser-)reich
- nährstoffarm
- eiweißarm
Sowohl an die geringen Wassermengen als auch dieses Nahrungsangebot ist die Physiologie der Tiere hervorragend angepasst.
Fütterungsempfehlungen für mediterrane Landschildkröten
Da Landschildkröten aus trocken Klimazonen über einen erweiterten Dickdarm verfügen, können sie rohfaserreiche Nahrung mittels der mikrobiellen Dickdarmflora gut verwerten. Einen analogen Darmaufbau mit „Gärkammern“ im Dickdarmbereich besitzen z.B. Pferde und Kaninchen, die aus ähnlichen Klimazonen stammen. Für die Ernährung der mediterranen eignen sich am besten ungiftige Wiesenkräuter wie Löwenzahn, Brennnessel, Wegerich, Malven etc. Dabei ist zu bedenken, dass auch frische Kräuter einen relativ hohen Nährstoff- und Eiweißgehalt aufweisen und ebenfalls zu einer starken Stoffwechselbelastung führen können. Somit sollten sie mit Heu oder auch Heupellets ergänzt bzw. „gestreckt“ werden, um sie „weniger nahrhaft“ zu machen. Darüber hinaus eignen sich auch Blätter von Hasel, Erdbeeren und Obstbäumen als Grundlage gut.
Ferner ist den Tieren dauerhaft eine Kalziumquelle (wie Sepiaschale oder Eierschalen) zur Verfügung zu stellen. Obwohl in der Regel bereits die Feuchtigkeit aus frischen Futterpflanzen ausreichend ist, um den Wasserbedarf der Tiere zu decken, sollten sie in regelmäßigen Abständen Zugang zu frischem Wasser haben.
Beachte!
Das Wachstum der mediterranen Landschildkröten ist NICHT das entscheidende Maß für die Gesundheit der Tiere. Vielmehr haben Vergleichsstudien gezeigt, dass die Tiere in der Natur langsamer als in der menschlichen Obhut wachsen.
Fütterungsfehler bei mediterranen Landschildkröten
Zuckerhaltige Ernährung
Sollte eine mediterrane Landschildkröte in der Natur eine süße Frucht wird sie mit Heißhunger verschlungen. Dies hängt primär damit zusammen, dass in der Natur einfache Zucker aber auch Nährstoffe wie Eiweiß und Fett Mangelware sind. Daher ist der Verdauungstrakt nicht auf die vermehrte Aufnahme von einfachen Zuckern ausgelegt. Denn deutlich besser als die Schildkröte können die Mikroorganismen im Darm diese Zucker verdauen. Es kommt zu einer Verschiebung der Darmflora und Fauna. Angetrieben von dieser Ernährung können sich beispielweise gramnegative Bakterien (u.a. Enterobakterien (Enteriobacteriales)) und Einzeller (Flagellaten, Amöben und Cilliaten), geradezu massenhaft vermehren und Durchfälle folgen. Obst und Gemüse wie Tomaten (zu viel Zucker und Oxalsäure), frische Him- und Erdbeeren (zu viel Zucker), Kopfsalat und Gurke (zu viel Wasser zu wenig Rohfaser) sollten daher gemieden werden.
Eiweißhaltige und energiereiche Ernährung
Auch Aas wird in der Natur gerne gefressen. Dennoch steht diese Eiweißquelle den Tieren nur extrem selten zur Verfügung. Dennoch kann man mit dieser Vorliebe erklären, dass es nicht nur bis in die anfänglichen 2000e Jahre Fütterungsempfehlungen für Katzenfutter gab, sondern auch kommerzielle „Schildkrötenfutter“ Bachflohkrebse und Fischmehl enthielten. Selbst wenn sich die Empfehlungen geändert haben, bieten viele Tierhalter immer noch bevorzugt dieses Futter an, weil es den Tieren offensichtlich schmeckt. Tierisches aber auch ein Übermaß an pflanzlichem Eiweiß führt mittelfristig zu einer Überlastung und Schädigung der Nieren und kann zu Wachstumsstörungen (Rachitis) des Panzers führen.
Das Abbau- bzw. Ausscheidungsprodukt aus dem Eiweißstoffwechsel bei Vögeln und fast allen Reptilien ist die Harnsäure. Deren Salze die Urate sind sehr schlecht wasserlöslich. Für die Tiere resultiert der physiologische Vorteil, dass Wasser nur noch für den Abtransport aus der Niere nicht aber als Lösungsmittel benötigt wird. So wird der Wasserverlust über den Harn deutlich reduziert. Dieser Vorteil jedoch wird bei einer Nierenüberlastung zum Nachteil. Ist die die Nierenfunktion eingeschränkt oder wird vermehrt Harnsäure im Körper gebildet, kann bereits im Körper die Harnsäure ausfallen. Dies geschieht zunächst in den schlecht durchbluteten Regionen z.B. in den Gelenken. Da Harnsäure stark gewebsreizend ist entsteht als nicht infektiöse Entzündungsreaktion – Gicht. Eine vermehrte Harnsäuresynthese geht zumeist auf eine zu eiweißreiche Ernährung zurück, während die Nierenfunktion als Folge durch entzündliche, thermische (z.B. starke Kälte im Winterschlaf) Prozesse oder auch Vergiftungen eingeschränkt sein kann. Darüber hinaus stimuliert eine eiweiß- und energiereiche Ernährung den Schildkröten, die physiologisch aus „energetischen Mangelgebieten“ ein rasches Größenwachstum.
Kalzium nicht nur eine Herausforderung in der Fütterung
Sehr häufig fehlt der Nahrung jedoch (relativ) Kalzium, so dass das Knochen und auch das Panzerwachstum eingeschränkt wird. Als Folge treten je nach Ausprägung Höcker- bzw. Pyramidenbildungen aber auch stark abgeflachte weiche Panzer (tastbar!) auf. Da das Kalzium nicht nur für die Panzer- und Knochenfestigkeit, sondern auch für Muskelkontraktionen von entscheidender Bedeutung ist, wirken schwer betroffene Tiere schwach. Sie sind oftmals nicht mehr in der Lage beim Laufen den Bauchpanzer vom Boden abzuheben. Sie kriechen oder robben über den Boden. An den Hintergliedmaßen sind abgeschliffene Innenseiten der Füße, verlängerte Krallen ebenso wie abgeschliffene Panzerunterseiten (bzw. des Plastrons) die Folge. Hieraus entstehen Rötungen, die nicht selten nach einem Blick ins Internet als Blutvergiftung (Sepsis) missinterpretiert werden.
Ferner ist auch Vitamin D für die Kalziumaufnahme von entscheidender Bedeutung. Vitamin D ist üblicherweise in der Nahrung in ausreichender Menge vorhanden, wird jedoch nur als inaktives Provitamin aufgenommen. Erst im Körper wird es über verschiedene Stoffwechselstufen aktiviert. Eine dieser Stoffwechselschritte ist die Umwandlung von Prävitamin D zu Vitamin D3, der unter UV-Licht Einfluss in der Haut stattfindet. Da UV-Licht im natürlichen Sonnenlicht vorhanden ist, benötigen Schildkröten in der Freilandhaltung kein zusätzliches UV-Licht. Für Tiere in der (Aqua)terrarienhaltung ist künstliches UV-Licht jedoch essentiell. Gut geeignet sind neben den „alten“ Quecksilberdampflampen, die moderneren Halogen-Metalldampflampen (HQI-Lampen). Deutlich weniger Strom verbrauchen jedoch moderne UV-LED Lampen, die jedoch in der Anschaffung teurer sind.
Tropische Landschildkröten
Anders als an Trockenheit adaptierte Landschildkröten haben tropische Landschildkröten im natürlichen Lebensraum häufiger Zugang zu frischen Früchten und zu tierischem Eiweiss. Bei diesen Arten ist der der Dickdarm deutlich keiner und weniger strukturiert als Arten aus Trockengebieten. (Frucht-)Zucker ist bei Ihnen ein fester Bestandteil der Nahrung und sollte in Form von Früchten regelmäßig verfüttert werden. Auch wenn bei den reinen Vegetariern eine stark eiweißreiche Ernährung vermieden werden muss, sollte darauf hingewiesen werden, dass einige Arten einen Anteil an tierischem Protein in der Nahrung benötigen.
Häufiger als bei mediterranen Landschildkröten treten bei Ihnen Veränderungen des Panzers als Folge eines UV Licht Mangels auf, da in der Haltung direktes Sonnenlicht häufig fehlt. Unter diesem Aspekt muss darauf hingewiesen werden, dass auch Glas (z.B. Haltung im Gewächshaus) ein äußerst wirksamer UV-Filter ist.
Wasser und Sumpfschildkröten
Den am wenigsten spezialisierten Magendarmtrakt weisen die omnivoren Wasser- und Sumpfschildkröten auf. Der wenig ausgeprägte Dickdarm und der zumeist verlängerte Dünndarm zeichnen Tiere aus, die ihren Energiebedarf zu großen Anteilen aus tierischem Protein ziehen. Durch die fett- und eiweißhaltige Ernährung tritt bei Sumpf und Wasserschildkröten auch die Adipositas (Fettsucht) durch Überfütterung deutlich regelmäßiger als bei den vegetarischen Landschildkröten auf. Häufig weisen die Tiere durch eine relative (in Bezug zur Energieaufnahme) Kalziumunterversorgung zusätzliche Panzerdeformationen auf. Typischerweise wirkt der Panzer dieser Tiere zwei Nummern zu klein.
Gleichzeitig fehlen in vielen Trockenfuttermitteln wichtige Vitamine. So ist eine (ernährungsbedingtes) Hypovitaminose A (Defizit von Vitamin) bei Wasserschildkröten an der Entstehung von Mittelohrentzündungen beteiligt. Dabei muss aber gleichzeitig darauf hingewiesen werden, dass Vitamin A in zu hohen Dosen bei Landschildkröten „giftig“* ist und bereits leicht zu einer Hypervitaminose mit einer generalisierten Hautablösung führt. Eine besondere Vorsicht ist somit auch vom Tierarzt in der Therapie angezeigt.
Obwohl viele kommerzielle Futtermischungen für diese Tiere erhältlich sind, darf der vegetarische Anteil der Nahrung nicht vergessen werden.
*Anmerkung: natürlich benötigen auch Landschildkröten Vitamin A
Kurz und knapp
Schildkröten sind DIE Reptilien in den Tierarztpraxen. Wie die meisten Heimtiere sind sie in Ihrem Leben direkt von den vorgegebenen Haltungsbedingungen abhängig. Anders als jedoch bei vielen Säugetieren gibt es für die gänzlich unterschiedlichen Schildkrötenarten kein kommerzielles Alleinfutter, das alle physiologische Bedürfnisse auch im jahreszeitlichen Verlauf gleichermaßen abdeckt. Fütterungsfehler sind so leider bei vielen Haltern vorprogrammiert und eine der Hauptkrankheitsursachen dieser faszinierenden Tiere. Durch die enorme Leidensfähigkeit der Tiere werden jedoch Haltungsfehler vom Tierbesitzer häufig erst sehr spät entdeckt.
Helge Behncke
Exoten-Praxis
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