Telefontriage

Telefontriage

Evaluation eines Notfallpatienten

Kündigt sich ein Notfall an, ist manchmal etwas Schlimmes passiert. Am Telefon erwarten Dich aufgeregte, aufgelöste Besitzer:innen. Anhand welcher Kriterien kannst Du nun entscheiden, wie dringlich der Fall zu werten ist?#

Was ist eine Telefontriage?

Arbeitest Du in einer belebten Notfallpraxis oder -klinik? Kündigt sich ein Notfall in einer vollen Sprechstunde oder während einer Operation an? Dann musst Du entscheiden, ob sich die Besitzer:innen sofort oder so schnell wie möglich innerhalb der nächsten 1–2 Stunden auf den Weg in die Praxis oder Klinik machen sollten.

Um einen akuten Notfall, möglicherweise einen Traumapatienten, bereits am Telefon richtig einschätzen zu können, ist es wichtig, aufmerksam zuzuhören und die richtigen Fragen zu stellen.

Bereits im Gespräch musst Du eine Triage durchführen, d.h. …

  • dringliche Notfälle als solche identifizieren,
  • diese ggf. nach Dringlichkeit priorisieren und
  • die Patienten einbestellen, damit Ihr sie als Team stabilisieren und versorgen könnt.

Gut zu wissen
Erleidet ein Patient ein Polytrauma, ist dies nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich. Bei einem Polytrauma handelt es sich um gleichzeitig entstandene Verletzungen mehrerer Körperregionen, meist infolge von Autounfällen oder Stürzen aus großer Höhe. Dabei ist eine der Verletzungen oder ihre Kombination lebensbedrohlich.

Welche Fragen Dir helfen können

Natürlich erfasst Du wie gewohnt zunächst den Namen der Besitzer:innen und das Signalement des Tieres (Tierart, Rasse, Alter, Geschlecht und Name), damit Du die Patientendatei bereits öffnen und einsehen kannst.

Im nächsten Schritt geht es um die konkrete Erfassung der Situation:

  • Was ist passiert?/Was ist das Problem?
  • Wann ist es passiert?/Seit wann besteht das Problem?
  • Wurde das Tier deswegen bereits vorbehandelt? Wenn ja, wo?
  • Bekommt das Tier Medikamente? Wenn ja, welche?

TIPP

Bekommt der Patient Medikamente, ist es sinnvoll, dass die Besitzer:innen die Verpackung mitbringen.

Dies ist insbesondere bei Neukund:innen empfehlenswert, kann aber auch bei laufenden Kund:innen vorteilhaft sein. Sie können zwischenzeitlich mit ihrem Vierbeiner bei anderen Tierärzt:innen oder Fachtierärzt:innen in Behandlung gewesen sein und neue Medikamente verordnet bekommen haben.

Abb. 1 | Wichtig für die Beurteilung des Zustands ist die Frage, ob der Patient ansprechbar ist.

Bestelle lebensbedrohliche Notfälle sofort ein

Die Dringlichkeit eines Notfalls kann variieren – auch dann, wenn die Besitzer:innen die Situation als äußerst dramatisch beschreiben. Deshalb ist es Deine Aufgabe zu priorisieren. Kritische Notfälle müssen immer sofort einbestellt werden.

Um lebensbedrohliche Notfälle überhaupt als solche erkennen zu können, solltest Du gezielte Fragen* stellen:

  • Wie ist die Atmung?
  • Ruhig oder angestrengt?
  • Liegt Atemnot, Schnappatmung oder ein Atemstillstand vor?
  • Hustet der Patient?
  • Liegen Blutungen vor? Wenn ja, wo und wie stark?
  • Welche Farbe haben die Schleimhäute der Maulhöhle? Weiß, bläulich oder stark gerötet?
  • Kann die Herz-/Pulsfrequenz bestimmt werden? Wie hoch ist sie?
  • Wie ist die Körpertemperatur bzw. wie fühlen sich die Gliedmaßen an? Kalt oder warm?
  • Kann das Tier stehen und laufen?
  • Liegt es in Seitenlage?
  • Ist es ansprechbar (Abb. 1)?
  • Liegt ein Krampfanfall vor? (Hinweise auf Status epilepticus?)
  • Dauert dieser mindestens 5 Minuten an?
  • Oder treten 2 oder mehrere Krampfanfälle dieser Länge auf, ohne dass das Tier zwischenzeitlich bei Bewusstsein ist?
  • Wann war der letzte Urinabsatz?
  • Gibt es offene Wunden? Wenn ja, wo?
  • Wann ist mit der Ankunft des Patienten zu rechnen?

TIPP

Es ist hilfreich, wenn Du Dir eine Liste mit wichtigen Fragen an einem gut sichtbaren Platz aufhängst. So kann im Ernstfall nichts schief gehen.

Gut zu wissen
Bestelle Patienten, die eines oder mehrere der folgenden Kriterien* erfüllen, sofort ein:
– Atemnot
– Atemstillstand
– Hunde mit geblähtem Bauch, Würgreiz und nicht produktivem Erbrechen
– Bewusstlosigkeit
– massive Blutungen
– Erstickungsanfälle oder Verschlucken eines
– Fremdkörpers mit Atemnot
– Fieber > 41,0 °C
– Herz-/Pulsfrequenz
– Bradykardie (Hund < 60/min, Katze < 140/min)
– Tachykardie (Hund > 180/min, Katze > 240/min)
– Hitzschlag
– Kollaps
– Koma
– Schlangenbiss
– weiße, bläuliche oder stark gerötete Schleimhäute
– starke Schmerzen mit Hecheln, Unruhe oder Schmerzäußerungen wie Winseln oder Miauen
– Schnappatmung
– Seitenlage
– Status epilepticus
– Stromschlag
– scheinbar tote Tiere
– Untertemperatur (< 34,0 °C bei Hund und Katze)
– massive Verbrennungen
– akute Vergiftungen
– offene Verletzungen von Brustkorb oder Bauchhöhle

*kein Anspruch auf Vollständigkeit

Weniger dringliche Notfälle sind immer noch dringend

Werden die oben genannten Symptome verneint, handelt es sich nicht um eine lebensbedrohliche Situation. In belebten Notfallpraxen oder bei Notfällen, die sich in einer vollen Sprechstunde oder während einer Operation ankündigen, ist es ausreichend, wenn der Patient innerhalb der nächsten 1–2 Stunden vorgestellt wird.

Folgende Notfälle* sollten innerhalb der nächsten 1–2 Stunden untersucht werden:

  • Abszesse
  • Appetitverlust bei zusätzlichem Auftreten von Apathie, Durchfall, Erbrechen oder Schmerzen
  • Augenverletzungen
  • Bisswunden
  • blutige oder schwere Durchfälle
  • anhaltendes oder blutiges Erbrechen
  • Fieber (> 39,5 °C bei Hund und Katze)
  • Verschlucken eines Fremdkörpers/Würgen, ohne dass Atemnot auftritt
  • schmerzhaftes Harnpressen oder schmerzhafter, häufiger Harndrang (Strangurie)
  • getrübte Hornhaut
  • Knochenbrüche
  • Lähmungen
  • Traumapatienten (ohne oben genannte Symptome, die eine sofortige Einbestellung erfordern)
  • Untertemperatur (< 36,5 °C bei Hund und Katze)
  • Verletzungen
  • akute Verschlechterung vorbehandelter Patienten

Gut zu wissen
Es wichtig zu wissen, dass sich ein Notfall jederzeit in seiner Priorität ändern kann. Hast Du die Situation nicht als kritisch eingestuft, kann sich der Zustand des Tieres trotzdem plötzlich derart verschlechtern, dass der Patient in Lebensgefahr schwebt. Deshalb ist es wichtig, dass die Besitzer:innen ihr Tier genau beobachten. Kläre sie unbedingt darüber auf, dass sie sich bei einer Zustandsverschlechterung ihres Vierbeiners sofort auf den Weg in die Praxis oder Klinik machen sollten.

Klare Anweisungen sind Gold wert

Handelt es sich um Neukund:innen oder Kund:innen, die längere Zeit nicht in der Sprechstunde waren, ist eine gute Wegbeschreibung hilfreich. Der Transport sollte möglichst ruhig und routiniert erfolgen. Ein traumatisiertes Tier darf nur vorsichtig manipuliert und in Seitenlage transportiert werden, da die Gefahr von Wirbelfrakturen besteht. Der Brustkorb darf nicht eingeengt werden. Bei Traumapatienten ist unter Umständen bereits im Auto Erste Hilfe zu leisten. Der Eigenschutz der Besitzer:innen hat immer Priorität. Es gilt, Verletzungen der Besitzer: innen auch in dieser stressigen Situation durch unvorhersehbare Abwehrreaktionen oder unerwartete Aggressivität des Vierbeiners zu vermeiden.

Gut zu wissen
Informiere die Besitzer:innen bittedarüber, dass …
– Katzen mit Atemnot am besten in einem Katzenkäfig transportiert werden sollten. Sie dürfen nicht in einem Tuch eingewickelt auf dem Arm der Besitzer:innen in die Praxis/Klinik gebracht werden. Dies würde den Brustkorb einengen und die Atemnot verschlechtern.
– Hunde mit Atemnot dürfen keinesfalls durch Druck auf den Brustkorb (Abb. 2) oder einen Maulkorb in der Atmung behindert und somit noch mehr gestresst werden.

Abb. 2 | So nicht: Ein Patient mit Atemnot darf beim Transport niemals durch Druck auf den Brustkorb noch mehr in der Atmung beeinträchtigt werden.

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren

Ist das Gespräch beendet, solltest Du alle notwendigen Maßnahmen ergreifen. So könnt Ihr als Team Zeit sparen, wenn der Patient eintrifft. Sind die diensthabenden Tierärzt:innen informiert, können sie bereits die Patientenakte einsehen. Sind alle für die Versorgung des Patienten erforderlichen TFA informiert? Dann könnt Ihr gemeinsam mit den Vorbereitungen starten und zum Beispiel Materialien für Venenkatheter, Notfalllabor und Infusionen bereitlegen (Abb. 3), Röntgen- und Ultraschallgerät, ggf. auch CT (Abb. 4) oder den OP vorbereiten.

Überwacht den Patienten bis zum Eintreffen der Tierärzt:innen

Trifft der Patient in der Praxis ein, sollte er sofort in den Behandlungsraum gebracht werden – auch, wenn er stabil erscheint. Muss der Patient hier noch auf die Tierärzt:innen warten, weil diese vielleicht mit einem anderen Notfall beschäftigt sind oder eine Operation durchführen, ist eine engmaschige Überprüfung der Vitalparameter und des Zustands anzuraten. Behaltet den Patienten bis zum Eintreffen der Tierärzt:innen immer unter Sichtkontrolle.

TIPP

Ute Klein-Richers informiert Euch in Ihrem Beitrag „Polytrauma – Katze mit Schädel-Hirn-Trauma“, wie Ihr Euren Patienten mithilfe einer Notfalluntersuchung überwachen könnt.

Gut zu wissen
Häufig seid Ihr als Team in solch einer Situation mit aufgelösten und aufgeregten Besitzern konfrontiert. Bei Traumapatienten können dabei sogar Schuldgefühle oder Schuldzuweisungen im Raum stehen. Michaela Schwestka berichtet in ihrem Beitrag, wie Ihr die Besitzer:innen in Akutsituationen entlasten und die Weichen für einen langfristig konstruktiven Umgang mit dem Thema Schuld schaffen könnt.

Kurz und knapp

Kündigt sich ein Notfall an, gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren und die richtigen Fragen zu stellen. Nur so kann der Patient in seiner Dringlichkeit richtig priorisiert werden. Manchmal ist eine sofortige Einbestellung erforderlich. Manchmal reicht es, wenn der Patient innerhalb der nächsten 1 bis 2 Stunden vorgestellt wird. Wichtig ist, dass die Besitzer:innen ihr Tier inzwischen sorgfältig beobachten und es im Falle einer Symptomverschlechterung sofort in die Praxis oder Klinik bringen.

Dr. Jennifer Nehls
Pressebüro für Human- und Tiergesundheit
Wischhoff 2
21465 Wentorf
tfa@drjennifernehls.de