Die eigene Widerstandskraft stärken

Die eigene Widerstandskraft stärken

Interview mit Lisa Leiner

Die Widerstandskraft, die einem die Fähigkeit verleiht, Stress als positiv zu empfinden, nennt man Resilienz. Der Managementtrainer Boris Grundl sagte einmal: „Wenn Sie wirklich Resilienz anstreben, müssen Sie das Umfallen in Kauf nehmen, um wieder aufstehen zu können.“ Einfach gesagt, aber wie lässt es sich umsetzen? Jennifer Nehls in einem Interview mit Lisa Leiner, der Fachbuchautorin von „Stress- und Zeitmanagement für Tierärzte“.

13 : 18 Querformat

Jennifer Nehls: Resilienz ermöglicht es einem, mit dem Alltagsstress in der Praxis besser umzugehen und Krisen im Leben besser zu bewältigen. Denn wer eine hohe Resilienz hat, kann mit eigenen Niederlagen, aber auch mit Krankheiten besser umgehen. Reiner Optimismus? Oder welche Persönlichkeitsmerkmale oder Faktoren tragen noch zu einer hohen Resilienz bei?

Lisa Leiner: Bei der Resilienz geht es um gewisse Fähigkeiten, die man sich durchaus aneignen kann. Manchen Menschen fällt das leichter, andere müssen länger „üben“, um eine gewisse Resilienz zu erreichen. Eine hohe Resilienz bedeutet auch nicht, dass man gegen jede Herausforderung, jeden Stressreiz oder jeden Konflikt so gewappnet ist, dass Einem nichts mehr nahe geht. Den Vergleich mit dem Umfallen und Aufstehen finde ich sehr gut, denn die Resilienz hilft uns schneller wieder aufzustehen, wenn wir umgefallen sind. Oder aber bewahrt uns davor, aber eben nicht in allen Situationen. Zu den Fähigkeiten, die resilient machen, zählen Optimismus, Zielorientierung, Selbstwirksamkeit, Emotionssteuerung, Impulskontrolle, Kausalanalyse und Empathie.

Wer optimistisch ist, redet sich nichts schön oder trägt dauerhaft eine rosa-rote Brille, sondern versucht, auch negativen oder herausfordernden Situationen einen positiven Anteil abzugewinnen. Jeder Fehlschlag hilft mir, es beim nächsten Mal besser zu machen. Jedes Betrachten von kleinen Schritten „in die richtige Richtung“, hilft mir, hartnäckig bei einer Sache zu bleiben. Jeder wohlwollende Blick auf einen Konflikt, hilft mir, ruhig und reflektiert zu agieren. Kennen Sie diese Menschen, die überall etwas auszusetzen haben? Die immer ein Haar in der Suppe finden? Mit solchen Menschen verbringt man nicht gerne Zeit. Und genau solchen Menschen fehlt die notwendige Prise Optimismus.


Bei der Zielorientierung beschäftigt man sich mit den eigenen Visionen. Denn wenn man weiß, was man erreichen möchte, lässt man sich nicht so schnell aus der Bahn werfen. Eine extrem wichtige Fähigkeit ist, selbstwirksam agieren zu können. Man nimmt sein Schicksal hiermit selbst in die Hand. Man hat festgestellt, dass Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeit glücklicher sind als Menschen, deren eigene Wirksamkeit eingeschränkt oder gar abhanden gekommen ist. Hierbei glaubt man an sich selbst: „Ich schaff das!“ Die Emotionssteuerung erlaubt uns weiter, uns unseren eigenen Emotionen bewusst zu sein und diese auch bewusst zu kontrollieren. Mit der Steuerung unserer Emotionen können wir negative Situationen besser durchstehen, da wir verstehen, was sie mit uns machen und entsprechend regulierend darauf eingehen können. Ähnlich ist hier die Impulskontrolle, die uns dabei hilft, uns trotz aller Widrigkeiten auf eine Aufgabe zu konzentrieren und diese durchzuführen. Auch wenn diese unangenehm oder nervig ist. Die Kausalanalyse ermöglicht uns, konkret zu hinterfragen. Dabei kommen nicht nur die bekannten W-Fragen zum Einsatz, sondern auch Zusammenhänge wie „Je – desto“ oder „Wenn – dann“. Und zu guter Letzt sollte man noch die Fähigkeit zur Empathie haben, denn wir leben in einem Miteinander. Andere Menschen daher besser einschätzen zu können, trägt viel dazu bei, dass man angemessen auf Situationen reagieren kann.

Jennifer Nehls: Stress als Quelle neuer Kraft wahrzunehmen ist nicht immer einfach. Wie kann man diese Fähigkeiten trainieren, damit dies gelingt?

Lisa Leiner: Zuallererst muss man einen Status quo erheben. Denn wer schon bei dem kleinsten Stressreiz explodiert, wird es natürlich schwer haben, die Fähigkeiten der Resilienz zu trainieren. Auch kann man nicht alles auf einmal erlernen, sondern sollte mit den Dingen starten, die einem leicht fallen. Ein dritter Tipp ist: Keiner ändert sich über Nacht! Daher nicht so viel von sich selbst erwarten, sondern sich zugestehen, dass man Übungszeit benötigt. Solange man dranbleibt und nicht aufgibt, wird man auch Erfolge erzielen. Langjährige Verhaltensweisen und Gefühle sind wie große Schiffstanker. Diese benötigen auch eine Zeit, bevor man sie gewendet hat, um einen neuen Kurs einzuschlagen. Somit wäre der erste Schritt zu beurteilen, wo ich aktuell stehe, was ich schon gut kann und was mir noch schwerfällt.

Jennifer Nehls: Birgt Selbstwirksamkeitsüberzeugung nicht auch die Gefahr von Selbstüberschätzung oder Perfektionismus?

Lisa Leiner: Jein. Es ist mit diesen Fähigkeiten wie mit allem: Es zählt die goldene Mitte und nicht die Extreme. Ein „Ich schaff das!“ kann natürlich mit einer Selbstüberschätzung einhergehen. Dann kennt man seine eigenen Fähigkeiten und Grenzen noch nicht gut genug. Dann wird man wohl fallen und aus seiner Selbstüberschätzung lernen müssen, bestenfalls mithilfe der Kausalanalyse und dem Optimismus. 

Der Perfektionismus kommt eher aus dem Glaubenssatz: „Ich muss das können!“ Er beinhaltet daher nicht die eigene Überzeugung etwas zu können, sondern spiegelt den Druck wider, einer Gesellschaft, einer Person oder wem auch immer genügen zu „müssen“. Im Gegensatz zur Selbstwirksamkeit, die man sein Leben lang lernt, entstehen Glaubenssätze eher in der Kindheit oder der Jungend, sind sehr unbeweglich und daher auch schwer zu lösen. 

Jennifer Nehls: Was aber tun, wenn der Stress doch überhandnimmt und mehr Kraft fordert als spendet? Wenn er uns schadet und krank macht? 

Lisa Leiner: Hierin liegt ein großes Problem. Denn viele erkennen nicht – oder möchten nicht erkennen – dass dauernder Stress schadet. Arbeitsam und fleißig zu sein, dabei stets zu lächeln und gut drauf zu sein, ist eine Tugend. Wer dagegen auf Freizeit und Erholung achtet, wer sich über zu viel Arbeit beschwert oder krank ist, steht auf der Abschussliste. Das ist somit ein heikles Thema. Wann ist genau der Punkt, an dem ich stoppe, bevor ich ernsthaft krank werde? Wenn uns Stress schon bewusst schadet und wir gravierende Symptome an uns wahrnehmen, wie Gereiztheit, Emotionalität, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit oder Heißhunger, massive Erschöpfung oder auch mangelnde Konzentrationsfähigkeit, dann hilft eigentlich nur noch der Weg raus. Das ist kein schöner Weg, und er sollte psychologisch begleitet werden. Zudem kann die Genesungszeit sehr lange dauern und ob dann eine Rückkehr in den Job möglich ist, steht auf einem anderen Blatt.

Besser für alle Beteiligten wäre es, dieser Schritt ließe sich vermeiden. Dazu müsste man mutig darüber sprechen – auch mit dem Arbeitgeber. Leistungsfähigkeit ist ein wertvolles Gut, und Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht. Werden Mitarbeitende überfordert, schaffen sie ihre Aufgaben nicht mehr oder können die Herausforderungen nicht mehr bewältigen. So etwas sollte ernst genommen und gemeinsame Lösungen gefunden werden. Dabei spielt vor allem auch das Delegieren innerhalb eines Teams eine Rolle: Welche Aufgaben könnten übertragen werden? Welche Entlastungen wären zusätzlich umsetzbar? Ließe sich etwas an der Arbeitszeit anpassen? Ein Coach kann hier eine super Hilfestellung leisten, denn solche Gespräche sollten gut vorbereitet sein.

Man sollte aber nicht allein auf seine Umgebung vertrauen und anderen Entscheidungen überlassen. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, jeder ist selbst wirksam. Daher sollte man auch für sich analysieren: Was bereitet mir besonders viel Stress? Was muss ich wirklich machen, und was mache ich sonst noch, was vielleicht nicht so dringend wäre? Kann ich Aufgaben in meinem privaten Umfeld delegieren, mir Hilfe holen oder sonst Abhilfe schaffen? Welche Hebel hätte ich, große Stressfaktoren zu minimieren? Was brauche ich dafür? 

Vor allem der private Bereich sollte ein Raum für Erholung sein. Wenn ich gestresst von der Arbeit komme und zu Hause erwartet mich weiterer Stress, wie soll ich dann Zeit für eine Regeneration finden?! Und am Ende gehören noch Themen dazu wie gesundes Essen, kein Alkohol, keine Zigaretten und viel Schlaf. 

Jennifer Nehls: Wie immer gilt: Es ist keine Schande, sich Hilfe zu suchen. Manchmal zeugt dies auch von innerer Größe. Liebe Frau Leiner, vielen Dank für die wertvollen Tipps.